Dünkirchen - Boulogne sur Mer - Cherbourg - Biskaya
ZEEBRÜGGE NACH DÜNKIRCHEN
Bonjour, salut, comment ça va - endlich machen wir uns auf in unser drittes Land der Reise - Frankreich. Beim Auslaufen aus dem Hafen von Zeebrügge merken wir, der Motor läuft auf hoher Drehzahl nicht ganz rund. Egal, wir brechen mit etwas Welle auf einem Am Wind Kurs auf und stechen ordentlich in die See. Soweit, so gut, so unentspannt. Wir brauchen relativ lange, müssen ein paar mal kreuzen und sind beschäftigt. Als wir auf halber Strecke sind und die See sich etwas entspannt, offenbart ein Gang in die Pantry die nächste Herausforderung: Wir haben Wasser in der Bilge und die Geschmacksprobe ergibt leider salzig. Spätestens jetzt haben wir ihn wieder, den Puls 200. Man möchte nicht gleich die Seenotrettung rufen aber es ist definitiv mehr Wasser, als dass man sich noch wohlfühlen würde. Tief durchatmen, Bilgepumpen an, Seeventile zu und angestrengt nachdenken, wo es herkommen könnte. In Gedanken sucht man den nächsten Hafen und fragt sich kurz, was man hier schon wieder macht. Drei Stoßgebete später, gibt es Entwarnung: Die Pumpen helfen und das Wasser wird weniger. Als wir den Schweiß von der Stirn gewischt haben, geht es an die Ursachenforschung und wir bemerken in der Bug Koje die nasse Wand. Ohne langweilige Details: Ursache ist ein Loch zur Kabelführung im Ankerkasten, das wir amüsanter Weise auch noch selbst gebohrt und nicht richtig abgedichtet haben. Immerhin schnell gefunden und leicht zu beheben. Wir führen unseren Törn nach Dünkirchen fort und sind die kommenden Tage mit Trocknen der Bug Koje beschäftigt.
Während dem Chaos begleitet uns ein kleiner völlig erschöpfter Vogel (irgendwie niedlich und man fühlt sich verpflichtet ihm eine Verschnaufpause zu gewähren). Wir werden ihn bis Dünkirchen nicht mehr los und er schläft willenlos über Nacht in unserer Pantry ein. Leider benutzt er unseren Decksalon neben dem Schlafplatz auch als Klo, aber nach dem Tag ist einem wirklich fast alles egal.
Wir haben endlich das Gefühl in einer Segelnation angekommen zu sein. Die Infrastruktur ist ziemlich gut, wir treffen einige Segler im Hafen und geben herrlich viel Geld in den umliegenden Marine Shops aus. Der Mechaniker für unseren Motor ist auch schnell gefunden. Standesgemäß spricht er kein Wort Englisch und da unser Französisch nur zum Croissant Bestellen reicht, möchten wir an dieser Stelle Google für seinen Übersetzer danken. Er fischt uns beginnende Dieselpest aus dem Tank und seit dem schnurrt unser Motor wieder wie ein Kätzchen. Dazwischen schauen wir uns die Stadt an, bilden uns in Weltkriegsgeschichte und freuen uns über den ersten (Kurz-) Besuch von Franzi und Felix.
DÜNKIRCHEN NACH BOULOGNE SUR MER
Nachdem Bilge und Koje wieder trocken sind, planen wir den Törn nach Boulogne sur Mer, vorbei an Calais durch die engste Stelle im Ärmelkanal. Strömungen und Schiffsverkehr sind die Herausforderungen des Tages (nach dem Wassereinbruch gefühlt alles easy peasy). Wir haben das Gefühl, diesmal alles im Griff zu haben und auch die Strömung ist mit uns. Kurz nach dem Leuchtturm Cap Gris reißt uns ein lautes Motorengeräusch aus dem Mittagstief. Ein Hubschrauber kreist im Tiefflug über unserem kleinen Bootchen. Nervös überlegen wir, was wir falsch gemacht haben könnten und winken mal schüchtern mit dem Funkgerät. Als sogar die Seitentür aufgeht, haben wir den nächsten Hollywood Film vor Augen - kurz darauf verschwindet er genauso plötzlich wieder. Auf dem AIS entdecken wir in 8 Seemeilen Entfernung einen Seenotrettungseinsatz. Wir rätseln und werden wohl nie erfahren, was er bei uns wollte. Mehr Aufregung gibt es an diesem Tag nicht und wir machen wie immer im Dunkeln in Boulogne sur Mer fest. Der Hafen ist schon im Winterschlaf, der Tidenhub direkt am Steg ist zwar beeindruckend aber auch gruslig und wir bleiben nur eine Nacht.
CHERBOURG
Wir wollen Strecke machen und die erste Nachtfahrt mit unserer Sir steht an. Googelt man "Nachtfahrt Vorbereitung" kommen folgende Empfehlungen: Ruhige, laue Sommernacht, am besten Vollmond ohne Wolken mit wenig Verkehr in bekanntem Seegebiet. Kurz gesagt, unsere erste Nachtfahrt war stockfinster, komplett bewölkt, kühl, am Rande des stark frequentierten Fahrwassers und die Beschreibung ähnelt Slalomsegeln um Fischer und Frachter. Segel hin oder her, selbst wenn man freundlich per Funk nachfragt, die haben wirklich gar keinen Bock auf ausweichen. Immerhin, man bleibt beschäftigt und damit wach. Der Wind schiebt uns gut an und wir erreichen Cherbourg nach rund 26 Stunden. Die erste Nachtfahrt im Ärmelkanal gemeistert zu haben fühlt sich gut an und als Belohnung begrüßt uns am nächsten Morgen die erste Delfinschule.
Inzwischen sind wir einfach zufriedenzustellen: Der Hafen in Cherbourg ist modern, die Duschen warm und es gibt genug Restaurants in Laufnähe. Neben dem Hafen besuchen wir ein lohnenswertes Museum (Cité de la mer). Wir besichtigen ein ausgemustertes Atom U-Boot und sind froh, uns für ein Segelboot als Reisegefährt entschieden zu haben. Zum Museum gehört auch das alte Hafenterminal, an dem die Titanic auf ihrer einzigen Reise festgemacht hat. Zumindest sind auf unserer geplanten Route bisher keine Eisberge zu erwarten, wie erleichternd. Wir lassen uns ein paar Tage treiben, radeln durch die Gegend und genießen es, an der Palmengrenze angekommen zu sein.
Die Küste der Normandie gefällt uns und wir entführen die Stadträder für Touris entlang der Küste bis zum Phare du Cap Levi. Der kleine E-Motor schiebt uns durch die hügelige Küstenlandschaft und unsere City Bikes machen sich zwischen den Rennrädern der Franzosen ausgesprochen gut.
Phare du Cap Lévi
Der Wind aus der falschen Richtung nimmt zu und wir bleiben etwas länger als geplant. Kein Problem, für mehr Reichweite mieten wir ein Auto, durchstreifen die Normandie und bestaunen die Natur. Der geschichtsträchtige Hintergrund ist in der Region sehr gegenwärtig und wir bilden uns ein weiteres Mal in Weltkriegsgeschichte am Utah Beach und dem D-Day Monument am Pointe du Hoc. Die Gegend hat etwas Magisches und die alten Bunkeranlagen ragen wie Narben aus der damaligen Zeit in den Klippen.
Utah Beach, Quineville
Pointe du Hoc
Nach 7 Tagen kommt der Wind aus der richtigen Richtung und bevor wir zu gemütlich werden, machen wir das Boot zum Ablegen klar, wechseln ein Segel, füllen die Tanks auf und kochen Essen vor. Als hätten wir nicht genug schöne Erinnerungen an Cherbourg, beschert uns die Stadt auf die letzten 30 Minuten im Hafen eine unserer amüsantesten Erinnerungen der bisherigen Reise: Unsere Schwarzwasserpumpe funktioniert seit einiger Zeit nicht ganz korrekt (also gar nicht) und unser Fäkalientank muss leer gepumpt werden. Hierfür gibt es Pumpen im Hafen, die (bei korrekter Anwendung) den Tank leer saugen. Wir nehmen die letzten schlauen Tipps zur Handhabung der Pumpe von unseren Bootsnachbarn an und stürzen uns mutig in die Absaugung. Die einzige Schwierigkeit bei einer solchen Aktion ist, das Ventil korrekt auf den Tank zu halten. Ohne ins Detail zu gehen, auch hier lernen wir mit Erfahrung wie das richtig geht. Naja... ein Teil des Bootes, unser Großsegel, Sventjas Jacke und unser Segelnachbar haben nach der Aktion eine Dusche nötig und wir können seitdem nicht aufhören zu lachen (nochmal sorry!!!). Es bleibt ein sehr großer Respekt vor der zukünftigen Nutzung von Fäkalienpumpen.
Hafen Port de Chantereyne, Cherbourg
CHERBOURG NACH... ja wohin?
Wir verlassen Cherbourg und obwohl wir die Palmen schön finden, machen uns die Temperaturen inzwischen doch etwas das Segeln schwer. Wir brechen zuerst mit dem Ziel Roscoff auf. Der Wind bläst achterlich mit 20 Knoten und schiebt uns geschmeidig vorwärts. Wir beschließen ihn nicht aufzuhalten und bleiben auf südlichem Kurs. Vielleicht wird es Brest oder Concarneau. Nach zwei Tagen und einer Nacht auf See spricht Claudius einen schlummernden Gedanken aus: Wollen wir nicht gleich Kurs auf Spanien setzen und die Biskaya überqueren? Entsetzen in Sventjas Gesicht: Meint er das Ernst? 2 Tage non stop Segeln stecken uns in den Knochen und die Biskaya ist zumindest eine gedanklich sehr große Herausforderung. Wochenlange Recherche haben den Respekt vor Wetter, Wellengang und Eigenschaften der Überquerung wachsen lassen.
Es folgt eine weitere Nachtfahrt mit südlichem Kurs, vorbei an Brest ("wir können morgen Früh ja nochmal Richtung Frankreich abbiegen"). Am nächsten Morgen checken wir zum dritten mal das Wetterfenster und die restliche Wegstrecke. Noch 235 Seemeilen bis Gijón und wir wären wieder im Temperaturbereich 15 bis 20 Grad.
Long discussion short: Das Wetterfenster passt grob, danach fliegt erstmal ein Tief nach dem anderen ein und die Hoffnung auf 15 Grad aufwärts siegt. Das erste Grande Finale steht uns bevor und wir überqueren ungeplant aber zuversichtlich die Biskaya.
Phare du Four (Frankreich), Biskaya, Küste von Gijón (Spanien)
BISKAYA ÜBERQUERUNG NACH GIJÓN
Wir gleiten bei entspannten 15 Knoten Wind auf Halbwindkurs in die Biskaya, müssen in der Mitte der Strecke bei Flaute sogar mit Motor anschieben. Man dümpelt auf riesigen Wellen umher, die wie Walzen unter einem rollen und im Nichts verschwinden. Das Wetterfenster ist zwar gut aber nicht besonders lang und unter unserem Rumpf befinden sich für die nächsten 200 Seemeilen 4000m tiefes Blau. Wir achten darauf, unsere Wegpunkte rechtzeitig zu erreichen, damit wir es vor dem nächsten Tief mit Wind > 25 Knoten in einen sicheren Hafen schaffen. Die Flaute macht uns ein bisschen nervös, aber zur Not haben wir genug Diesel dabei. Erst ca. 70 Seemeilen vor dem spanischen Festland können wir die Segel wieder setzen (endlich wieder himmlische Ruhe an Bord) und am 18.11. gegen 5 Uhr morgens erreichen wir den Hafen von Gijón.
Auf unserer Reise sind wir bisher noch nie so müde gewesen und haben gleichzeitig noch nie so viele Glücksgefühle beim Einlaufen in den Hafen gespürt. Trotz aller bisherigen Herausforderungen, sind die letzten 4 Tage und Nächte eine der größten. Die Reise fühlt sich an wie eine Achterbahnfahrt mit ständigen Hochs und Tiefs. Man segelt neben Delfinen bei Sonnenschein und 15 Knoten Wind, die Sir gleitet mühelos mit dem Wind dahin und man will nie mehr aufhören. Im nächsten Moment bleibt der Wind aus, die Müdigkeit erdrückt den letzten Funken Motivation und man muss nachts um 3 Uhr bei Wellengang die schlagenden Segel einholen. Auf dem Meer ist man mit seinen Gedanken alleine und obwohl es das Schönste auf dieser Welt sein kann, sie treiben zu lassen, muss man genauso aufpassen, sie beisammen zu halten. Obwohl wir glauben zu wissen, was auf uns zukommt, verstehen wir es erst seit wir es selbst erleben.
Die Faszination vom Segeln kommt für uns nicht nur durch blauen Himmel, blaues Wasser und den passenden Wind. Vielmehr ist es das rauschende Gefühl, das sich einstellt, wenn man die völlige Erschöpfung überwunden und sein Ziel am Ende erreicht hat. Wie oft wir uns sagen lassen mussten, wir sind zu spät dran im Jahr. Wie oft wir schief angeschaut wurden, ob wir überhaupt können, was wir da machen. Wie oft wir selbst gezweifelt haben, ob das alles eine gute Idee war. Unsere Reise hat uns bisher viel abverlangt, vielleicht mehr als wir zugeben wollen. Aber wir haben gelernt in kleinen Schritten zu denken und zu handeln, egal wie groß die Herausforderung war, die sich unser Boot für uns hat einfallen lassen. Und all die kleinen Schritte haben uns mit unserem eigenen kleinen Segelboot bis nach Nordspanien gebracht (woop wooop).
Wir sind anderen Booten begegnet, die wesentlich schneller voran gekommen und mittlerweile längst in Südportugal sind. Genauso haben wir Boote getroffen, die sich mehr Zeit lassen oder die Reise bis zum Frühjahr pausieren. Unseren Zeitplan haben wir seit der Abreise aus Gelting nicht mehr angeschaut. Das Wetter hat sowieso seine eigenen Pläne, dazu kommen die Launen unseres Bootes und unsere eigenen, die unsere Geschwindigkeit mal mehr, mal weniger beeinflussen. Obwohl die Anzahl auf unserer to do Liste an Reparaturen konstant bleibt (nur mit unterschiedlicher Priorität), schaffen wir es die Orte um uns herum und unsere Zeit an Bord zu genießen. Für uns das Wichtigste. Wir erlauben uns ein bisschen stolz zu sein und freuen uns auf die zweite Hälfte zu den Kanaren.
47 Tage unterwegs
15 Häfen
5 Nachtfahrten
3 Länder
> 1200 Seemeilen hinter uns
< 1100 Seemeilen vor uns bis auf die kanarischen Inseln
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Basti (Dienstag, 26 November 2024 21:39)
Tolles Update! Schön geschrieben und schon beeindruckende Statistiken ��
Franzi (Dienstag, 26 November 2024 22:06)
Was für unglaublich schöne Fotos. So ein Abenteuer !
Laura (Dienstag, 26 November 2024 22:20)
So so cool und unfassbar beeindruckend!!! Danke für den tollen Blog! �
Sebi (Dienstag, 26 November 2024 23:08)
Meeeega gut!!! Macht einen riesen Spaß den Blog zu lesen und kurz mitzureisen! :-*
Maxi (Dienstag, 26 November 2024 23:11)
��
Marlis (Mittwoch, 27 November 2024 10:23)
Zum heulen schön.
Anja (Mittwoch, 27 November 2024 11:18)
Wenn man eure Beiträge liest, hat man das Gefühl direkt mitten dabei zu sein. Man möchte am liebsten selbst alles stehen und liegen lassen und sich auch auf so ein großes Abenteuer begeben. Respekt, dass ihr es wirklich umgesetzt habt und bitte versorgt und weiter mit so viel spannendem aber oft auch amüsantem Lesestoff.
Gute Reise weiterhin!!!
Werner (Mittwoch, 27 November 2024 11:53)
Ich bin beeindruckt von eurem neuen Mut und vor allem von der professionellen und spannenden Berichterstattung. Macht weiter so und ich halte euch den Daumen. Herzliche Grüße aus Schondorf
Dominik (Mittwoch, 27 November 2024 20:16)
Einfach super geschrieben - macht richtig Spaß es zu lesen und sich die Situationen bildlich vorzustellen, gepaart mit ordentlich Respekt. Ihr lasst aber auch nichts aus... :)
Viktor (Samstag, 30 November 2024 14:13)
Weiter so! Danke für den Blog!
CR7 (Sonntag, 01 Dezember 2024 11:50)
Richtig schön geschrieben ihr 2! <3 passt auf euch auf und habt eine tolle Zeit. Das nimmt euch niemand mehr! Freue mich auf den nächsten Bericht!
Alex (Dienstag, 03 Dezember 2024 14:19)
Sehr schöner Blog