Gijón - A Coruña
GIJÓN
Nach unserer Überfahrt durch die Biskaya verweilen wir eine gute Woche in Gijón und lernen die spanische Gemütlichkeit kennen. Vor 9 Uhr macht kein Laden auf (auch keine Bäckerei) und zwischen 14 und 17 Uhr ist sowieso alles und jeder im Mittagsschlaf. Einmal versuchen wir gegen 12 Uhr etwas zu Mittagessen zu bekommen. Uns wird schmunzelnd ein Kaffee angeboten mit einem Kommentar "Mittagessen frühestens ab halb 2". Es fällt uns nicht sonderlich schwer, den spanischen Rhythmus einfach anzunehmen. Wir bekommen Besuch von Sventjas Bruder, machen einen Ausflug nach Ovideo und toben uns kulinarisch in asturischen Restaurants aus. Gegen 19 Uhr sind wir zwar mit Abstand die Ersten im Restaurant, müssen aber dafür auch nie einen Tisch reservieren. Zwischendurch tüfteln wir am Boot, ziehen Leerrohre durch alle möglichen Ecken und verlegen neue Kabel. Als so langsam der Wind wieder stimmt und wir Richtung A Coruña aufbrechen wollen, springt der Motor nicht mehr an. Wir nehmen drei Stunden lang das Relais auseinander obwohl das Problem am Ende "nur" ein loses Kabel war (sagt einem aber auch keiner...). Falls jemand wissen möchte, wie ein Relais funktioniert, einfach melden, da sind wir jetzt Experten.
Gijón
Oviedo
Wanderweg Ruta de los Molinos del Rio Profundo
Nach einer Woche machen wir uns bei guter Wind- und Wettervorhersage von Gijón aus nach A Coruña auf, aber der Wind hat sich leider spontan einen Tag frei genommen. Unsere Lust nur unter Motor weiterzufahren, hält sich in Grenzen und wir steuern den nächsten Hafen in Avilés an. Am nächsten Tag starten wir Versuch Nummer zwei und können bei wenig Wind das erste Mal unser Leichtwindsegel erfolgreich testen. Für zwei Stunden scheint alles zu laufen: Guter Wind, entspannte Welle, herrliches Wetter. Wir genießen den Wind um die Nase als unser Autopilot mehr oder weniger überraschend den Geist aufgibt. Das ist eher eins der unbequemen Defekte, da wir ab dem Zeitpunkt durchgehend selbst steuern müssen. Wenigstens sind wir grade zu dritt unterwegs und wir wechseln alle zwei Stunden ab. Gegen Abend bleibt der Wind aus und keiner von uns hat Lust ohne Autopilot im Dunkeln in der Flaute zu dümpeln. Wir steuern spontan Ribadeo an und schlafen ein paar Stunden im Hafen, bevor wir vor Sonnenaufgang wieder aufbrechen und den letzten Schlag nach A Coruña in Angriff nehmen. Auf der letzten Strecke ist alles dabei, von Flaute zu ablandigen Böen, viel Welle, wenig Welle, malerischer Sonnenuntergang und wir sehen sogar Haie bei der Jagd bevor wir wieder mal mitten in der Nacht im Hafen einlaufen.
Gebirge Picos de Europa, Küste vor Avilés & Ribadeo, Marina A Coruña
A CORUÑA
In A Coruña angekommen schlafen wir erstmal aus und widmen uns danach den Reparaturen. Neben dem kaputten Autopilot treibt uns ein Leck im Süßwasserkreislauf seit geraumer Zeit in den Wahnsinn, ganz zu schweigen von der kaputten Fäkalienpumpe, die uns bekanntlich schon seit Frankreich lästig ist. Am Ende des Tages haben wir leider zusätzlich ein kaputtes Seeventil (bitte keine Rückfragen wie uns das passieren konnte). Wir schaffen es zwar, den Wassereinbruch unter Kontrolle zu bringen aber verbringen eine unruhige Nacht. Die Liste der Reparaturen ist mittlerweile lang und das kaputte Seeventil tauscht sich leider auch nicht von selbst. Wir beschließen, das Boot aus dem Wasser zu holen und ein kleines Refit zu starten. Augen zu, Kreditkarte durch.
Ab Tag eins als Bootsbesitzer haben wir gehofft niemals das Toilettensystem anfassen zu müssen. Wir überlegen ob es eine Option sein könnte, die Toilette einfach zum Kleiderschrank umzubauen und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in einen Eimer zu machen. Ein Teil von uns zieht das ernsthaft in Erwägung, der andere Teil denkt sich, wenn wir es jetzt nicht machen, dann wohl nie mehr. Wir fragen in der Werft um Hilfe, da wir sowieso einige neue Teile brauchen und die komplette Logik im Abwassersystem erneuern wollen. Als wir das Angebot mit Kostenvoranschlag bekommen, überlegen wir doch nochmal ob Schrank statt Toilette nicht besser wäre, lehnen dankend ab und kaufen uns erstmal ein Ticket der spanischen Weihnachtslotterie El Gordo. Da die Ziehung erst Ende Dezember ist bleibt uns nichts anderes übrig, als alle Teile selbst zu bestellen und uns an die Arbeit zu machen. Weil wir eh schon am basteln sind, dachte sich unser Boot wohl, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt gleich noch ein paar mehr Ausfälle aus dem Hut zu zaubern. Im folgenden ein kurzer Abriss der Dinge, die in den letzten Wochen eine Reparatur angemeldet haben:
- Autopilot hops
- Seeventil (1 kaputt, 2 weitere machen wir gleich mit)
- Schwarzwassersystem (neue Pumpe, neue Schläuche, neues Ventil)
- Bilgepumpe verstopft
- Kühlschrank hat keinen Strom mehr
- Boiler tropft
- Fenster undicht
- Seilzug Getriebe hängt
- Solarplatten und Ankerwinde anschließen (zugegeben eine Altlast aus Gelting)
Jede einzelne dieser Aufgaben ist mit 100 Einzelaufgaben verbunden und wir finden zusätzlich noch weitere Dinge, die man "schnell mal eben" machen könnte, so lange das Boot an Land ist. Als letzter Stimmungskiller fällt die Temperatur auf 8 Grad und es weht mit 30 Knoten von der Seite, während wir aufgebockt vor der Werft stehen. Die spanische Gemütlichkeit trifft auf deutsches Streben nach Effizienz und das frustriert erstmal. Erst kommt ein Feiertag, am Wochenende wird sowieso nicht ausgeliefert und weit und breit ist kein Marine Shop oder anständig sortierter Laden mit Ersatzteilen anzutreffen. Baumärkte ("Ferreterías") sind hier eher kleine Tante Emma Läden, mit einem faszinierenden Sammelsurium, das von Heizstrahler, über Wandfarbe, zu Kaffeemaschinen und Lampen bis hin zu einzelnen Werkzeugen reicht. Wir üben uns in Geduld und machen per Taxi ein paar Trips in das örtliche Industriegebiet, um wenigstens die sperrigsten Teile wie Schläuche zu besorgen. All das nervt aber wir versuchen uns in bester Segler Manier: Wenigstens passiert uns das alles hier im Hafen und nicht mitten auf dem Atlantik. Da wir die Füße stillhalten müssen bis die Lieferung der Ersatzteile da ist, machen wir unsere obligatorische Fahrradtour und heben unsere Stimmung mit einem Ausflug zum Weltkulturerbe Torre de Hércules, dem berühmten Leuchtturm der Stadt.
A Coruña: Marina, Faro de Mera, Torre de Hércules, Miradoiro Fiestra ao Atlántico, Dársena de Oza
Nach 11 endlos langen Tagen bestehen die neuen Seeventile den Wassertest und halten dicht. Wir haben alles erledigt und werden zurück in das Hafenbecken manövriert, dann folgt der Glanzmoment der letzten zwei Wochen: Wir sind wieder im Wasser, die Gurte rutschen grade noch von unserem Rumpf und wir wollen nichts wie weg hier, da springt der Motor nicht an. Die Mitarbeiter der Werft wissen nun auch nicht mehr ob sie über uns lachen oder mit uns weinen sollen. Wir bekommen mitleidige Blicke und machen uns an die Arbeit. Dieselfilter wechseln, Kraftstoffleitung entlüften, Entlüftungsventil für das Kühlwasser prüfen, Impeller tauschen. Wir arbeiten gegen den Tidenhub, der uns spätestens Abends auf Grund setzen würde. Allem zum Trotz, lassen wir uns nicht einschüchtern und entspannte 4 Stunden später haben wir auch diese Herausforderung gemeistert. Wir sind zurück im Wasser, der Motor schnurrt wieder und wir wechseln in die schönere Marina in der Innenstadt.
Wir versuchen die vergangenen Tage positiv zu sehen. Durch den Aufenthalt neben dem Fischerhafen in einem entspannten Stadtviertel, haben wir das echte Spanien fern von der touristischen Innenstadt kennengelernt. Unser Obstverkäufer winkt uns täglich freundlich zu und ohne ihn hätten wir das günstige Restaurant mit dem leckersten Fisch niemals gefunden. Unsere Kellnerin im Mittagscafé freut sich über alle Maßen über unsere mehrfachen Besuche und schenkt uns extra Nachtisch, obwohl wir gegenseitig kein Wort voneinander verstehen. Der Verkäufer im Baumarkt-ähnlichen Geschäft begrüßt uns lächelnd und freut sich täglich uns Tipps geben zu können, wo wir welche Teile finden, obwohl wir bei ihm im Laden noch nichts kaufen konnten. Ein bisschen helfen sie uns alle dabei, die Tage in der Werft leichter zu ertragen.
Es wäre aber auch gelogen, wenn wir sagen, das ist alles einfach und kein Problem. Wir wollen euch auch an der Realität der Reise teilhaben lassen, also macht es euch auf eurem warmen, gemütlichen Sofa bequem und ertragt in diesem Abschnitt unser kurzes Jammern. Die letzten 11 Tage waren sehr anstrengend, nervig, teuer und wir wären viel lieber in einer ruhigen Ankerbucht viel weiter südlich gelegen und hätten uns mit Jingle Bells auf Weihnachten eingestimmt. Neben den ganzen To Dos, die man ja einfach abarbeiten könnte, passieren lauter Dinge, die alles nochmal schwerer machen. Die Mechaniker der Werft entleeren einen Schlauch vom Schwarzwasser-Seeventil in unsere Bilge, als sie bei uns rumwerkeln und wir dürfen die Sauerei hinterher aufwischen. Wir hätten sie zum Mond schießen können, denn das Resultat ist bestialischer Gestank, der sich die nächsten Tage hartnäckig im Boot hält. Von drei neuen Seeventilen ist eins leider nicht ganz dicht und wir müssen es nochmal neu montieren. Das richtige Dichtmittel dafür ist in der Werft leider grade aus und nur eine 20 Euro Taxifahrt entfernt im Industriegebiet zu finden. Sventja bekommt Migräne und fällt erstmal aus. Die erste Ersatzteillieferung war nicht vollständig (vielleicht haben wir aber auch falsch bestellt) und wir müssen nachbestellen und wieder Lieferzeit abwarten. Schwer zu ertragen ist auch der Nachmittag, als Claudius den Schwarzwassertank über ein Ventil in einen Eimer entleeren muss. 10 Eimer müssen abgelassen, rausgetragen und entsorgt werden. Für sowas hat sich auch keiner angemeldet als wir beschlossen, ein Sabbatical zu machen. Alles was man hier in 2 Sätzen schreibt, braucht in der realen Zeitrechnung irgendwas zwischen 2 und 6 Stunden. Erst muss man herausfinden wo das Problem liegt. Dann muss man eine Lösung finden und die auch noch umsetzen und Teile dafür besorgen. Keins dieser Dinge für sich ist ein Drama, aber die Summe an Aufgaben würzt hier unsere Tage.
Zeit für ehrliche Selbstkritik: Oft ist etwas kaputt gegangen, wenn wir den Status Quo geändert haben. Wir lernen gleichzeitig so unglaublich viel und das macht uns Hoffnung. Das nächste Mal wissen wir sofort wonach wir suchen müssen und es dauert keine vier Stunden mehr. Das nächste Mal fangen wir direkt mit den einfachen Sachen an, bevor wir mit unseren Akademiker-Hirnen kompliziertes Denken anfangen. Einige Handgriffe können wir inzwischen mit Sicherheit im Schlaf, die wir bis vor 3 Wochen noch nicht mal kannten. Als wir in Gelting losgefahren sind, war auch klar, wir haben noch ein paar Baustellen. Unser Boot ist zwar stabil und gut gebaut, aber einiges ist einfach schon 30 Jahre alt und hat noch nie die Atlantikwelle gesehen. Wir hoffen durch die kleine Bastel-Einlage in A Coruña zumindest für die nächste Zeit etwas Ruhe zu haben. Und wie immer ist man rückblickend etwas stolz darauf, was man alles geschafft hat. Es erscheint an der Menge an Aufgaben wie ein kleines Wunder, das alles in 11 Tagen geschafft zu haben, wenn es auch locker hätten 15 oder 20 sein können.
Auch wenn wir die Weihnachtszeit anders geplant hatten, ist A Coruña ein nettes Städtchen und wir hatten schöne Momente. Sventja verabschiedet sich für eine kurze Weihnachtspause ein paar Tage nach Hause und Claudius bekommt Unterstützung von Flo für die nächsten langen Törns Richtung Süden. Eigentlich war frische Crew erst später auf unserer Reise geplant, aber wir schreiben unsere Pläne wie alle Segler nur noch bei Ebbe in den Sand. Die Männer dürfen sich mit Wind und Welle über die Feiertage austoben und haben ein Ziel: Süden.
Bis dahin frohe Weihnachten euch allen, genießt die Feiertage und wir melden uns im nächsten Jahr hoffentlich gaaaanz ganz weit aus dem Süden!
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Cornelius Hartwig (Dienstag, 24 Dezember 2024 08:40)
Schaurig schön, ein echtes Drama in fünf Akten! Wir drücken Euch alle Daumen und wünschen Euch keinen weiteren Mast- und Schotbruch, frohe Weihnachten und natürlich immer eine handbreit Wasser unterm Kiel.
Marlis Lipp (Dienstag, 24 Dezember 2024 10:25)
Bon voyage in den Süden, ihr Tapferen!!
Fabian W. (Donnerstag, 26 Dezember 2024 15:54)
Oh Nelly! Ich wünsche euch zu Weihnachten vor allem ganz viele Dinge, die nicht passieren :) bleibt tapfer!